Ansatz
Problemstellung
Der Gebäudesektor ist einer von sechs Sektoren, die im Klimaschutzgesetz des Bundes beschrieben sind und für die strenge Reduktionsziele für den Ausstoß von CO₂ und CO₂-Äquivalenten festgelegt wurden, um das 1,5-Grad-Ziel gemäß des Pariser Abkommens von 2015 zu erreichen und Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen. Der Anteil der Gebäude an den Gesamtemissionen in Deutschland wird derzeit auf 30-40% beziffert, wobei im öffentlichen Diskurs häufig übersehen wird, dass diese Zahl allein den Betrieb der Gebäude, also deren Versorgung mit Wärme und Elektrizität widerspiegelt. Hinzu kommen also noch die Treibhausgasemissionen, die bei der Errichtung der Gebäude entstehen. Diese werden nach dem deutschen Klimaschutzgesetz dem Industriesektor zugerechnet und können daher nicht trennscharf als spezifische Emissionen der Bauindustrie beziffert werden. Klar ist aber beispielsweise, dass allein die Herstellung von Zement, der als Grundstoff vor allem für Beton eingesetzt wird, bis zu 7% der globalen Treibhausgasemissionen verursacht. Rechnet man noch den Rohstoffabbau und die Herstellung von Bewehrungsstahl sowie die Emissionen für den Transport hinzu, wird schnell deutlich, dass der Neubau von Gebäuden, insbesondere in Stahlbetonbauweise, einen erheblichen Anteil an Deutschlands Treibhausgasemissionen ausmacht. Neben den Treibhausgasemissionen ist auch der Ressourcenverbrauch für die Errichtung von Stahlbetonbauten äußerst intensiv. So müssen für die Herstellung von einem Kubikmeter Beton die 4,75-fache Menge an Ressourcen gewonnen und verarbeitet werden.
Konzept
Das Forschungsprojekt Abbau Aufbau setzt genau hier an: So soll durch den Einsatz von gebrauchten statt neuen Bauteilen die Treibhausgasemissionen und den Primärressourcenverbrauch von neu zu errichtenden Gebäuden reduziert werden.
Als Quelle für gebrauchte Bauteile soll der massive Strom an Bauabfällen dienen. Das Aufkommen an mineralischen Reststoffen, die als Abfall entsorgt und mehr oder weniger gut recycelt werden, betrug im Jahr 2020 in Deutschland beachtliche 221 Millionen Tonnen. Diese Zahl zu reduzieren und die Begriffe „Bauabfall“ bzw. „Müll“ langsam in „Ressource“ bzw. „Rohstoff“ umzuwandeln, sind weitere Ziele des vorliegenden Forschungsprojektes.
Nicht zuletzt spielt auch das Vorkommen von Gebäudeleerstand als potenzielle Quelle für wiederverwendbare Bauteile eine Rolle. So werden in Regionen mit Bevölkerungsrückgang vermehrt Gebäude abgerissen, die als Ressource für die verstärkte Bautätigkeit in Regionen mit hohem Neubaubedarf dienen könnten. Ein Beispiel hierfür ist die Diskrepanz zwischen dem Flächenland Brandenburg mit einer Wohnungsleerstandsquote von 4,6 % und der Metropole Berlin mit einer Quote von 0,8 %. Diese Diskrepanz lässt vermuten, dass die Bereitstellung von gebrauchten Bauteilen aus Brandenburg für den Bedarf durch Neubauprojekte in Berlin allein eine Frage der Logistik wäre.
Zum Zeitpunkt der Antragstellung für das vorliegende Forschungsprojekt gab es in Deutschland hinsichtlich der Wiederverwendung von Bauteilen ausschließlich Projekte bei denen entweder nicht-tragende Bauteile wie Fassadenbekleidungen, Fenster, Türen, Sanitärobjekte, etc. eingesetzt wurden oder aber gebrauchte Betonfertigteile als tragende Bauteile eingesetzt wurden - die Forschung zur elementeorientierten Wiederverwendung von Ortbetonstrukturen war bis dato noch nicht untersucht.
Zielstellung
Grundlagenforschung
Um die Forschungslücke in Bezug auf das Bauen mit gebrauchten Stahlbetonelementen aus dem Rückbau von Ortbetonstrukturen zu schließen, sind zunächst zwei sehr konkrete Aufgaben zu bewältigen: Zum einen muss berechnet werden, wieviel CO₂-Einsparpotenzial die Bauweise tatsächlich bietet und zum anderen wieviel Primärressourcen durch die Wiederverwendung der gebrauchten Stahlbetonelemente eingespart werden kann. Mit den Ergebnissen der Berechnung der Einsparpotenziale von CO₂-Äquivalenten-Emissionen und Primärressourcen und der Einordnung im Vergleich zum konventionellen Bau mit neuem Stahlbeton soll für zukünftige Projekte eine Referenz zur Bestimmung der potenziell vermiedenen Emissionen und des verhinderten Ressourcenabbaus bereitgestellt werden, die im besten Fall zur Entscheidungsfindung des Materialeinsatzes bei Neubauvorhaben verwendet werden kann.
Darüber hinaus sollen im Forschungsprojekt Möglichkeiten zur Unterstützung der Planung untersucht werden. So sollen mit Hilfe geeigneter Software die Erstellung von Zuschnittvarianten vereinfacht werden, eine automatische Inventarisierung der resultierenden Elemente erfolgen und Hilfestellungen für die Logistik, wie z.B. automatisch berechnete Gewichtsangaben, generiert werden. Neben der Fokussierung auf die Konzeption und Handhabung der gebrauchten Bauteile sind aber auch im Rahmen der eigentlichen Planungsarbeiten Forschungsziele auszumachen: So gilt es zu klären, wie die gebrauchten Elemente zugelassen werden können, wie die Verbindungen mehrerer Elemente untereinander oder auch von gebrauchten zu neuen Bauteilen konstruktiv gelöst werden kann oder wie die speziell benötigten Bauleistungen bei einem Bauvorhaben ausgeschrieben werden sollten. Durch die Bereitstellung von Software Tools und Handreichungen zu Planungsfragen soll die Arbeit von Architekt:innen und Tragwerksplaner:innen bei Projekten, bei denen gebrauchte Stahlbetonelemente in Frage kommen erleichtert werden.
Nicht zuletzt besteht die Zielstellung im Forschungsprojekt die Grundlage für die Realisierung eines konkreten Pilotprojektes in Form eines Real Labors zu schaffen. Dafür sollen mögliche Rück- und Neubauvorhaben gefunden und miteinander verbunden werden. Durch eine direkte Verknüpfung der im vorliegenden Forschungsprojekt durchgeführten Grundlagenforschung mit einem Praxisprojekt kann zum einen eine direkte Übermittlung der gewonnenen Erkenntnisse erfolgen und zum anderen können die theoretischen Grundlagen durch praktische Erfahrungen komplettiert werden.
Zielstellung
Reallabor
Mit der Begleitung des Planungs- und Bauprozesses eines realen Bauvorhabens, bei dem gebrauchte Stahlbetonelemente im Rückbau gewonnen und im Neubau wieder eingesetzt werden sollen, können die durchzuführenden Arbeiten sowohl in der Planung als auch bei den Bauleistungen für jeden einzelnen Schritt im Projekt begutachtet werden. Dabei werden Unterschiede zum konventionellen (Neu-)Bauen herausgearbeitet und dokumentiert. Je nach Bedarf soll die Lösungsfindung für Aufgaben, die sich aus der besonderen Bauweise ergeben, durch die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen des Forschungsprojektes unterstützt werden. Diese Unterstützung soll sich hauptsächlich durch ergänzende Planungsleistungen oder Variantenerstellung für die Entwurfsplanung, die Baukonstruktion und die Tragwerksplanung darstellen.
Für die Ermittlung der Kostendifferenz im Vergleich zu konventionellen Bauvorhaben werden Kostenschätzungen und -berechnungen sowie Angebote und Rechnungen gesichtet und ausgewertet. Zur Berechnung des CO2- und Ressourceneinsparpotenzials werden anhand der konkreten Baukonstruktion und der Gebäudedimensionen eine Ökobilanz und eine Materialintensitätsberechnung durchgeführt und zur Einordnung mittels Literaturrecherche mit Werten aus früheren Forschungsprojekten verglichen. Abschließend sollen alle gewonnenen Erkenntnisse und Werte anhand einer den Projektphasen entsprechenden Gliederung als Publikation aufbereitet werden. So können die praktischen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse des Real Labors einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.
Dieses Forschungsprojekt wird gefördert durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen aus Mitteln der Zukunft Bau Forschungsförderung.








