Forschungsprojekt
Abbau Aufbau
Grundlagenforschung
2022–2024
Als grundlegende Arbeitshypothese kann angenommen werden, dass die Wiederverwendung von gebrauchten Stahlbetonelementen weniger Treibhausgasemissionen und Ressourcenabbau verursacht, als das bei neu herzustellenden Stahlbetonfertigteilen der Fall wäre.
Dies soll durch die Berechnung der Ökobilanz (Life Cycle Assessment, LCA) und des Primärressourcenverbrauchs (Materialintensität, MI) bewiesen werden. Anhand eines Gebäudeentwurfs, der im Rahmen einer Masterarbeit im Jahr 2020 an der Universität der Künste Berlin erarbeitet wurde, werden diese beiden Berechnungen durchgeführt. Dabei werden ein ReUse- und ein Neubau-Case erstellt und miteinander verglichen. Beim ReUse-Case sollen die im Entwurf als gebrauchte Elemente vorgesehenen Bauteile als gebrauchte Elemente in die Berechnungen einfließen, wohingegen beim Neubau-Case diese Bauteile durch neue Stahlbetonfertigteile ersetzt werden. Damit ist ein direkter Vergleich der Bauweise mit gebrauchten Elementen und einer Bauweise mit konventionellem neuen Stahlbeton im Verhältnis zum gesamten Gebäude inkl. Fundamenten, thermischer Hülle und Innenausbau möglich.
Darüber hinaus ist anzunehmen, dass die Bauweise mit gebrauchten Stahlbetonelementen, aufgrund der Beschaffung dieser aus Rückbauten, mit einem hohen planerischen, organisatorischen und logistischen Aufwand verbunden ist. Sowohl die Planung des Zuschnitts des Bestandsgebäudes als auch die Inventarisierung der erzeugten Elemente verursachen Mehraufwand bei den Planungsleistungen, der so zuvor in konventionellen Bauvorhaben nicht erbracht werden musste. Diese zusätzlichen Planungsleistungen können allerdings durch digitale Werkzeuge und die Implementierung digitalisierter Arbeitsabläufe vereinfacht werden. Im Rahmen dieses Forschungsvorhabens soll daher ein digitales (Software-)Werkzeug entwickelt werden, das Planer:innnen bei der Zuschnittplanung und der Inventarisierung unterstützen kann. Durch eine Reihe von Beratungsworkshops mit potenziellen Anwender:innen aus Planungsbüros während der Entwicklung des Tools sollen dessen benötigte Funktionen ermittelt und eingegrenzt werden.
Neben den neuen Planungsaufgaben durch die besondere Beschaffung der Baumaterialien ist auch mit Mehraufwand bei der Genehmigungs- und Ausführungsplanung des Neubaus zu rechnen. Die Entwurfsaufgabe beinhaltet hier nun auch die Anpassung des Gebäudeentwurfs an die zur Verfügung stehenden Elemente, deren konstruktive Fügung sowie deren bauaufsichtliche Zulassung. Die Arbeitshypothese hierfür ist, dass durch die Erstellung eines Leitfadens für alle Besonderheiten in den Planungsphasen des Neubaus die Schwelle für eine Umsetzung eines Projektes mit dieser Bauweise gesenkt werden kann. Als Methodik für die Bearbeitung dieses Ansatzes wird zum einen auf Eigenerfahrung des Forschungsteams zurückgegriffen, zum anderen werden Interviews mit relevanten Ansprechpartner:innen durchgeführt und zuletzt wird dem Leitfaden eine umfassende Literaturrecherche zugrunde gelegt.
Arbeitspakete
AP1 – Ermittlung des Emissions- und Primärressourceneinsparpotenzials
In diesem Arbeitspaket sollen die Berechnungen zur Ermittlung der Einsparpotenziale im Bereich der CO₂-Emissionen und der Primärressourcen anhand der ReUse- und Neubau-Cases durchgeführt werden. Dafür muss zunächst ein detailliertes 3D-Modell zur Mengenermittlung der einzelnen Baumaterialien erstellt werden. Auf dieser Grundlage werden dann Datensätze von sowohl Umwelteinwirkungen als auch von Materialintensitätsfaktoren mit den ermittelten Mengen verknüpft, um die Ökobilanz und die Materialintensitätsberechnung aufzustellen.
AP2 – Digitalisierung und Skalierbarkeit der Abbau- und Aufbauplanung
Im Rahmen des zweiten Arbeitspakets soll ein Software-Tool entwickelt werden, das die Planung für die Bauweise mit gebrauchten Stahlbetonelementen vereinfacht. Zum einen soll ein parametrischer Algorithmus entwickelt werden, mit dessen Hilfe schnell eine Vielzahl an möglichen Zuschnittvarianten erstellt werden kann und zum anderen soll das Tool die Inventarisierung und Verwendung der gebrauchten Elemente im weiteren Planungsprozess vereinfachen indem automatisiert Bauteileigenschaften wie Gewicht und Dimensionen ermittelt und jedes einzelne Element mit einer individuellen ID versehen wird.
AP3 – Leitfaden für Muster-Bauablauf
Im dritten Arbeitspaket soll ein schriftlicher Leitfaden für den musterhaften Bauablauf eines Projektes, bei dem gebrauchte Stahlbetonelemente eingesetzt werden, erarbeitet werden. Hierbei soll auf alle thematischen Schwerpunkte, die im Zusammenhang mit der Bauweise auftreten, eingegangen werden. So werden rechtliche Fragen beleuchtet, entwerferische und konstruktive Handlungsempfehlungen erarbeitet und alle Teilschritte vom Rückbau des Bestands bis zur Fertigstellung des Neubaus systematisch beschrieben.
AP4 – Vorbereitung für Experimentalgebäude
Im letzten Arbeitspaket sollen Projektpartner, ein Spendergebäude und ein Neubauvorhaben gefunden werden, um im Rahmen eines Folgeprojektes ein Experimentalgebäude in der Bauweise mit gebrauchten Stahlbetonelementen zu errichten.
Ergebnisse
Das erste wesentliche Zwischenergebnis des vorliegenden Forschungsprojektes war die Ermittlung des CO₂-Einsparpotentials im Bereich der Gebäudeherstellung. Hierbei konnte durch die durchgeführte Ökobilanz eine Einsparung von ca. 36% des Global Warming Potentials im Vergleich zur konventionellen Bauweise mit neuem Stahlbeton erreicht werden. Auf dieser Grundlage konnte festgestellt werden, dass die Weiterverfolgung dieser Bauweise im Hinblick auf die dringend notwendige Bauwende hin zu klimafreundlicheren Bauweisen sehr sinnvoll ist.
Als zweites Zwischenergebnis ist das im zweiten Arbeitspaket entwickelte Softwaretool zu nennen. Neben der Erstellung von Zuschnittsvarianten stellt das Tool hilfreiche Funktionen wie die Inventarisierung von Bauteilen sowie die Ermittlung von deren Abmessungen und Gewichten oder auch die Vergabe von individuellen IDs zur Verfügung. Dadurch kann die Planung wesentlich vereinfacht werden und das Tool schafft somit wichtige Voraussetzungen sowohl für den Rückbau als auch für den Neubau. Bei der Entwicklung des Werkzeugs wurde der Schwerpunkt auf Skelettstrukturen mit rechteckigem Grundrissraster gelegt, da dies die häufigste Konfiguration von Stahlbetontragwerken ist. Für Gebäude, deren Grundriss nicht auf einem rechteckigen Raster basiert oder bei denen anstelle von Stützen und Trägern hauptsächlich Wände verwendet werden, ist nur ein Teil der Funktionen nutzbar, da sich bei der Entwicklung gezeigt hat, dass es nahezu unmöglich ist, ein Werkzeug zu entwickeln, das für alle unterschiedlichen Gebäudestrukturen funktioniert.
Als nächstes Zwischenergebnis ist das im dritten Arbeitspaket erarbeitete “Handbuch zur Wiederverwendung von Stahlbetonelementen aus dem Rückbau von Gebäuden” zu nennen. Wie zuvor beschrieben, enthält es Handlungsempfehlungen für die Durchführung von Bauvorhaben mit der untersuchten Bauweise. Aufgrund noch fehlender praktischer Erfahrungen ist es sehr allgemeingültig gehalten und könnte in Zukunft ergänzt und erweitert werden.
Zwischenergebnisse, die im vierten Arbeitspaket erarbeitet wurden, sind vor allem die Erfahrungen, die bei der Suche nach potenziellen Spendergebäuden und Bauherren gemacht wurden. Hier lässt sich zusammenfassen, dass die Bereitschaft zur Umsetzung der untersuchten Bauweise in der Immobilienwirtschaft noch nicht ausreichend vorhanden ist. Bei Abbruchunternehmen, Eigentümer:innen von Abbruchobjekten und konventionellen Projektentwickler:innen war es nahezu unmöglich, Gehör für das Bauen mit gebrauchten Stahlbetonelementen zu finden. Sie alle sind noch zu sehr im Status quo verhaftet.
Zusammenfassend lassen sich somit folgende Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt ableiten: Die Bauweise ist sowohl aus Sicht des Klimaschutzes als auch aus Sicht des Umweltschutzes sehr vielversprechend, es fehlt jedoch an praktischen Erfahrungen und positiven Beispielen, um mehr Akteure der Baubranche von der Machbarkeit und Sinnhaftigkeit des Bauens mit gebrauchten Stahlbetonbauteilen zu überzeugen. Eine Herausforderung bleibt auch die Vielfalt und Unvorhersehbarkeit von Bestandskonstruktionen, so dass es nahezu unmöglich ist, aus der Theorie konkrete, allgemein anwendbare Empfehlungen abzuleiten und zu formulieren. Auch hier gilt, dass eine Reihe von praktischen Versuchen die fehlenden Informationen liefern könnte, die beim derzeitigen Stand der Forschung in Bezug auf das Planungswerkzeug und den Bauleitfaden noch fehlen.
Die wissenschaftliche Anschlussfähigkeit des Forschungsprojektes Abbau Aufbau wird durch die Veröffentlichung der Ergebnisse auf der Projektwebsite und die damit verbundene freie Zugänglichkeit gewährleistet. Zum einen wird dort die angewandte Methodik der Ökobilanzierung beschrieben, zum anderen wird das Softwaretool im Open-Source-Format kostenfrei zum Download angeboten und schließlich steht das Handbuch ebenfalls zum kostenlosen Download zur Verfügung. So können Forschende auf die im Forschungsprojekt gewonnenen Ergebnisse zurückgreifen und die Bauweise darauf aufbauend weiterentwickeln. Für das Team der UdK Berlin bietet die Vorbereitung des Reallabors die Anschlussfähigkeit im Rahmen eines Folgeprojektes, in dem die zuvor erarbeiteten theoretischen Grundlagen in Form eines realen Bauprojektes angewendet werden können und somit die zuvor beschriebenen Forschungslücken im Bereich der Praxis geschlossen werden können.
Abschlussbericht (PDF - 9,4MB)
Dieses Forschungsprojekt wird gefördert durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen aus Mitteln der Zukunft Bau Forschungsförderung.



