Masterarbeit
Abbau Aufbau

Betonelemente

Christoph Henschel
MA Thesis 2020
UdK Berlin

Betreuung:
Prof. Gabriele Schultheiß
Prof. Christoph Gengnagel
Lisa Tiedje

Das Ziel dieser Masterarbeit war es, eine Studie darüber durchzuführen, wie ein abzureißendes Stahlbetongebäude in Elemente zerlegt werden kann und wie diese Elemente zum Bau eines neuen Gebäudes an einem anderen Standort verwendet werden können.

Motivation war zum einen der hohe Energieverbrauch der Zementherstellung: Da auch für Recyclingbetone neuer Zement verwendet werden muss, ist es energiesparender, Betonteile gar nicht erst zu schreddern und als Zuschlag zu benutzen, sondern sie „im Stück“ wiederzuverwenden. Zum anderen: das hohe Abrissvorkommen, weil derzeit viele Stahlbetongebäude abgerissen werden sodass eine Beschäftigung mit den Abrissstoffen zwangsläufig notwendig ist. Und zuletzt: die variierende Nachfrage nach gebautem Raum. Wohnungsnot und Leerstand liegen in Deutschland oft nicht weit entfernt voneinander. Demnach gilt das auch für Neubau und Abriss. Neubau mit Abrissmaterial ist also auch eine Frage der Logistik.

konventioneller Abbruch
hohes Aufkommen von mineralischem Bauabfall durch Abbruch und Zerkleinerung von Betongebäuden
Leerstand
hohe Leerstandsquoten im ländlichen Raum
Zementfabrik
Zementproduktion verursacht bis zu 8% der globalen CO2-Emissionen (Foto: Etienne Girardet / Unsplash)
Rathauskomplex Ahlen

Rathauskomplex Ahlen

Fallstudie Rathaus Ahlen

Für die Fallstudie wurde das Rathaus der Stadt Ahlen ausgewählt. Es wurde 1970 nach Plänen von Brigitte und Christoph Parade erbaut und soll in den nächsten Jahren aufgrund von Asbestvorkommen und Schäden an der Fassade abgerissen werden. Laut einem bautechnischen Gutachten ist die Stahlbetonkonstruktion noch vollständig intakt.

Zunächst wurde die gesamte Stahlbetonkonstruktion – der Rohbaudes Gebäudes – analysiert. Im weiteren Verlauf der Arbeiten lag der Schwerpunkt dann vor allem auf dem neunstöckigen Verwaltungstrakt und seinem auf einem dreieckigen Raster basierenden Grundriss.

Grundriss Regelgeschoss
Grundriss des Verwaltungsgebäudes
Rohbau Rathauskomplex
Rohbau des gesamten Rathauskomplexes
Regelgeschoss Verwaltungsgebäude

Perspektive in ein Regelgeschoss

Blick in den doppelgeschosshohen Eingangsbereich
Blick in den doppelgeschosshohen Eingangsbereich
Blick in die Cafeteria
Blick in die Cafeteria

Zuschnitt

Betonsägen
Mittels Betonsägeverfahren soll die Bestandsstruktur in wiederverwendbare Elemente zerlegt werden. (Foto: Senft GmbH)
Zuschnittraster
Ein Raster basierend auf gleichseitigen Dreiecken wird als Grundlage für die Zuschnittplanung angelegt.
Zuschnittvarianten
So können Bauteile mit gleichen Breiten oder Längen erzeugt werden, was Transport und Einbau erleichtert.
LKW und Mobilkran
Die Zuschnittmaße sind abhängig von maximalen Abmessungen für den LKW-Transport und die maximale Traglast von Mobilkränen.

Rückbau

Die Geschosse des Verwaltungstraktes werden anhand des Schnittrasters in unterschiedlich große Teile zerlegt. Aufgrund der Gestalt des ursprünglichen Grundrisses ergaben sich dabei vor allem Parallelogramme und Trapezformen sowie einige Sonderformen.


Zuschnitt Regelgeschoss

Zusammenfügen

Inspiriert vom Tangram-Spiel wurden erste Ansätze zum Zusammenfügen der ausgeschnittenen Teile entwickelt. Die teppichartigen Strukturen mit vereinzelten Hohlräumen lieferten die Inspiration für die Beschäftigung mit Patiohaustypologien.


Assemblage

Assemblage

Assemblage #1

Ausgehend von einer Skizze einer Patiohaustypologie wurden in einem ersten Versuch die ausgeschnittenen Teile neu anordnet, um ein rekonstruiertes Gebäude zu entwerfen. Das Ergebnis war ein eingeschossiges Haus mit mehreren Wohnungen. Einige der Wohnungen in diesem Entwurf waren jedoch zu groß oder hatten viele unpraktische Ecken und Winkel, sodass beschlossen wurde, die Wohnungen und Zimmer genauer zu planen und wiederum den Schnittplan entsprechend anzupassen.


Grundrissskizze
Grundrissskizze
Nachbildung der Skizze mit den Zuschnittelementen
Nachbildung der Skizze mit den Zuschnittelementen
Ergebnissgrundriss
Ergebnissgrundriss

Fragmente

Im ersten Rekonstruktionstest zeigten sich drei räumliche Situationen, die interessant und qualitativ wertvoll waren. Diese Situationen wurden extrahiert und als Referenz für die Gestaltung des Grundrisses der nächsten Phasen herangezogen.


Stützen vor Fenstern
Stützen vor Fenstern
Nische hinter Stütze
Nische hinter Stütze
Große Stütze in kleinem Raum
Große Stütze in kleinem Raum

Assemblage #2

Beim zweiten Versuch wurde erneut eine Grundrissskizze als Grundlage entworfen, diesmal jedoch präziser. Die Teile wurden speziell für die einzelnen Wohnungen und Räume aus dem Grundriss ausgeschnitten, wodurch die Skizze genauer nachgebildet wurde. In diesem Experiment funktionieren die Wohnungen besser, allerdings war das Schnittmuster für das bestehende Gebäude aufgrund der präzisen Vorgaben des Grundrisses des neuen Gebäudes ineffizienter.


Grundrissskizze
Grundrissskizze
Nachbildung der Skizze mit Zuschnittteilen
Nachbildung der Skizze mit Zuschnittteilen
Ergebnisgrundriss
Ergebnisgrundriss

Finales Projekt

Auf einem Grundstück am Stadtrand von Ahlen, etwa 4,5 km vom Standort des Rathauses entfernt, soll aus Teilen des rückgebauten Ahlener Rathauses ein Wohnhaus entstehen.

Für die Gebäudeplanung wurde auf der Grundlage mehrerer vorangegangener Testentwürfe eine Mischung aus präziser Planung der zukünftigen Wohnungen und rasterbasiertem Zuschnitt des bestehenden Gebäudes angewendet. Der Entwurfsprozess wurde somit sowohl vom Rückbau als auch vom Wiederaufbau beeinflusst.


Grundstück

In d. Haul 44-74, 59227 Ahlen

Grundrissskizze
Grundrissskizze
Ergebnisgrundriss
Grundrissskizze mit 440 Zuschnittteilen nachgebildet

Das entstandene Gebäude besteht aus 440 Zuschnittteilen des Rathauses und umfasst 23 ein- und zweistöckige Wohnungen zwischen 90 m² und 140 m². Durch die Verwendung der wiederverwendeten Teile hat jede Wohnung einen individuellen Grundriss.

Betonteile zusammengesetzt

Betonelemente zusammengesetzt

Teilekatalog

Elementekatalog

Entsprechend der Typologie von Hofhäusern werden die einzelnen Wohnungen über schmale Innenhöfe mit Licht und Luft versorgt. Dadurch kann das Grundstück dichter bebaut und das Grundstück effizienter genutzt werden, sodass weniger Boden versiegelt werden muss. Gleichzeitig bieten die Innenhöfe, die sich jeweils zwischen zwei einzelnen Wohnungen befinden, die Möglichkeit der gemeinschaftlichen Nutzung als Garten oder Treffpunkt für die Bewohner.

Schnitt
Schnitt
Grundriss EG
Grundriss EG
Grundriss OG
Grundriss OG
Lageplan
Lageplan
Isometrie
Isometrie
Küche
Küche
Badezimmer
Badezimmer

Die äußere Form des Gebäudes wird durch die zugeschnittenen Teile im Inneren bestimmt. Die innere Struktur lässt sich an der Fassade mit ihren zickzackartigen Vorsprüngen ablesen. 

Blick in Innenhof

Blick in Innenhof

Die zugeschnittenen Elemente ruhen auf einem Halbfertigteilträger aus Stahlbeton. Durch einen nachträglichen Bewehrungsanschluss werden die gebrauchten Teile und der neue Träger kraftschlüssig miteinander verbunden.

Animation Konstruktionskonzept
Animation Konstruktionskonzept
Detailschnitt
Detailschnitt
Verbindungsdetail
Verbindungsdetail

Die Wiederverwendung von Stahlbetonbauteilen ist nicht nur aus Sicht der Ressourcen- und Energieeinsparung sinnvoll, sondern auch aus architektonischer Sicht. Die Wohnungen des entstandenen Gebäudes weisen aufgrund der Verwendung der zugeschnittenen Teile an vielen Stellen unerwartete Qualitäten auf: verwinkelte Geschossrisse sowie scheinbar überdimensionierte Stützen schaffen ungewöhnliche, aber attraktive Räume. Diese Art von Architektur wäre bei einer konventionellen Neubauplanung höchstwahrscheinlich nicht entstanden. Gleichzeitig prägt das Wissen um die Herkunft der Bausubstanz die Identität des Gebäudes und kann so eine besondere Beziehung zwischen den Bewohnern und ihrem Haus schaffen.

Bestand Rathaus Ahlen Schlafzimmer

Vorher / Nachher

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Dieses Forschungsprojekt wird gefördert durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Auftrag des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen aus Mitteln der Zukunft Bau Forschungsförderung.